Purpose mit Lobbyarbeit
Social Entrepreneurship will eine positive Wirkung auf gesellschaftliche Herausforderungen wie Bildungsungerechtigkeit oder Klimakrise leisten. Social Entrepreneurship darf nach meiner Überzeugung daher nicht nur Wirkungsberichte anfertigen, sondern muss auch politisch mitmischen und Lobbyarbeit für die gute Sache machen.
Systemisch wirken: Die Gesellschaft verändern ist der Anspruch
Die höchste Stufe der Wirkungstreppe ist es, dass sich die Gesellschaft verändert. Hier entsteht nicht mehr nur Outcome, sondern Impact. „Der Anspruch vieler Sozialunternehmer geht weit über ein direktes Lösungsangebot für eine begrenzte Zielgruppe hinaus. Sie möchten das bestehende System insgesamt verändern und so eine möglichst große Wirkung erzielen“, schreiben Ashoka und McKinsey in einer gemeinsamen Studie, die das Milliardenpotenzial sozialer Innovationen in Deutschland aufzeigt.
Mit Politik: Wirkungsgrad erhöhen
Ein konkretes Beispiel aus der Studie macht deutlich, dass Sozialunternehmen nur mit der Politik wirklich systemisch wirken können: Apeiros unterstützt Schulen und Jugendämter dabei, Schulverweiger*innen in die Schule zurückzuführen. Ein Thema, das sich nicht nur massiv auf die Zukunftschancen der Kinder auswirkt, sondern auch volkswirtschaftlich relevant ist: Wir sprechen von 900 Millionen Euro vermiedenen Kosten für die Betreuung extremer Schulverweiger*innen. Jedes Jahr! „Eine schnelle Umsetzung dieses Ansatzes wäre möglich, wenn die Verwaltung den Einsatz der Software einfach anordnen würde“, heißt es in der Studie. Dieser Auftrag kann natürlich auch von der Politik kommen. Doch leider ist das noch nicht der Fall. Und so muss derzeit jede einzelne Schule dazu motiviert werden, das Programm von Apeiros einzusetzen. Wir können uns bestimmt alle gut vorstellen, was das für einen Aufwand bedeutet und wie viel Zeit damit vergeht. Wertvolle Zeit, die Kindern ihre Zukunftschancen raubt und jeden Tag Kosten verursacht. Mit der Politik kann man in so einem Fall viele Abkürzungen gehen und Ressourcen sparen. Politisches Handeln unterstützt Sozialunternehmen auf ihrer Mission und erzeugt damit echten Impact in der Sache.
Mit Politik: Business skalieren
Wir können das Ganze allerdings auch weniger impactorientiert, sondern mehr betriebswirtschaftlich betrachten, was für Sozialunternehmen glücklicherweise kein Gegensatz ist: Politische Rahmenbedingungen können auch Geschäftsmodelle skalieren. Auch hier ein konkretes Beispiel: Ab 1. Januar 2023 wird in Deutschland für die Gastronomie ab einer gewissen Größe eine Angebotspflicht von Mehrweg für Take-Away-Produkte gelten. Durchaus schöne Rahmenbedingungen für Sozialunternehmen, die bereits Mehrweglösungen anbieten: Schluss mit dem Klinkenputzen und mühsame Neukundengewinnung — die Unternehmen müssen nun selbst aktiv werden und auf die Angebote zurückkommen.
Lobbyarbeit für die gute Sache betreiben
Beide Beispiele zeigen, was für ein unglaublich mächtiger Hebel Politik sein kann. Ich will euch ermutigen, die Politik als relevanten Player in eure Arbeit einzubeziehen und auf dem Schirm zu haben. Gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen und die Gesellschaft zu verändern — das ist doch nicht nur die Aufgabe von Social Entrepreneurs, sondern — wie ich finde: in erster Linie — von der Politik. Politische Entscheidungsträger*innen auf allen Ebenen müssen eure Ansätze und Lösungen kennenlernen, von ihnen wissen und Wege finden, sie ins System zu integrieren.
So geht’s
Hier folgen konkrete Tipps, wie ihr loslegen könnt mit der Lobbyarbeit für die gute Sache:
- Positionspapier: Erarbeitet eine politische Positionierung, also konkrete Vorschläge, was die Politik in eurem Bereich machen kann und formuliert diese idealerweise schriftlich.
- Beziehungspflege: Baut ein politisches Netzwerk auf. Es gilt „Make friends before you need them“ und „Qualität vor Quantität“. Politik lebt von Vertrauen und damit von persönlichen Beziehungen.
- Zuständigkeit: Für persönliche Beziehungen braucht ihr ein Gesicht und eine Zuständigkeit bei euch in der Organisation. Legt fest, wer Ansprechperson für die Politik sein soll und kommuniziert das auch auf eurer Homepage und im Positionspapier.
- Ansprache: Auch in der Politik gibt es Zuständigkeiten. Das fängt an bei der Europäischen Union und endet vor eurer Haustür in der Gemeinde. Egal auf welcher Ebene existieren thematische Zuständigkeiten, organisiert in Ministerien, Referate oder Ausschüsse. Also nicht wahllos loslegen, sondern vorab recherchieren, zu wem man eigentlich Kontakte aufbauen sollte.
- Interessenvertretung: Stärkt Vereine und Verbände, die eure Interessen vertreten durch eine Mitgliedschaft. Zum Beispiel das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. Das spart nicht nur Ressourcen für euch und stärkt die des Verbandes, ihr erhaltet so auch schneller Zugang zu politischen Entscheidungsträger*innen und relevanten Informationen.
Großes bewirken
Ein ehrliches Wort zum Schluss: Politik ist als zähes Geschäft bekannt, oder sollte ich besser sagen „verschrien“? Und es stimmt. Wieder ein konkretes Beispiel: Für die Einführung des Mindestlohns wurde ca. 15 Jahre lang Lobbyarbeit geleistet. Bitte macht euch also keine Illusionen von Ad-hoc-Maßnahmen oder Aktionismus. So ein langer Zeithorizont kann natürlich abschreckend wirken. Mich persönlich spornt es an, dass man damit eben irgendwann mal anfangen muss, aber am Ende auch etwas Großes bewirken kann.
Wenn ihr euch für Letzteres entscheidet, findet ihr viele weitere Hilfestellungen kostenlos auf meinem Blog und auf meinem Instagram-Account. Eine grundlegende Einführung in die Lobbyarbeit bietet mein Selbstlernkurs. Mit dem Code onpurpose erhaltet ihr 10 % Rabatt.
Viel Erfolg beim Impact generieren!
Über die Autorin
Julia Post ist Politikwissenschaftlerin (M. A.) und Public Affairs Managerin. Während ihres Studiums initiierte sie das Umweltprojekt Coffee To Go Again, mit dem sie bundesweit für die Reduzierung von Einwegbechern kämpfte. Mit Erfolg: Zum Beispiel wurden in städtischen Kantinen in München Einwegbecher abgeschafft. Davon beseelt gründete sie 2017 Open Your Window und ist damit als politische Beraterin für Vereine, Stiftungen und Sozialunternehmen tätig. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik in München und ist Vorständin im Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland.