On-Purpose

radikal:klima für radikalen Wandel | Interview mit On Purpose Fellows Jeanette und Moritz

Die globale Klimakrise und die damit verbundene Dringlichkeit zum aktiven Handeln ist allgegenwärtig: Deshalb rief On Purpose 2020 den #ClimateEmergency aus. Im Zuge dessen arbeiten wir stetig an der Optimierung unseres eigenen klimafreundlichen Handelns. Dabei lernen wir unentwegt von den Menschen aus unserer Community, die sich ebenfalls dem Kampf gegen den Klimawandel angenommen haben.

Um weitere Menschen zum aktiven Handeln zu motivieren, zu inspirieren und unsere Ideen und die unserer Community teilen zu können, haben wir die Reihe Climate Conversations ins Leben gerufen. Jene dient als Sprachrohr für tatkräftige Stimmen. Das Ziel: Wir möchten mehr Menschen dazu ermutigen, sich auf diese wichtige Reise zu begeben.

Heute sprechen wir mit den beiden Berliner On Purpose Fellows Jeanette Krüger und Moritz Ellenberg. Die beiden gehören zu den Gründer:innen der politischen Organisation radikal:klima mit Sitz in Berlin.

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On Purpose Fellows Jeanette Krüger und Moritz Ellenberg | Foto-Credit: Jakob Schäuffelen
Liebe Jeanette, lieber Moritz. Nun habt ihr seit März 2020 beziehungsweise September 2018 das Associate-Programm bei On Purpose abgeschlossen. Den starken Tatendrang, gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben, hattet ihr bereits während eurer Zeit bei uns. Aus welchen spezifischen Gründen wurde daraufhin die Partei radikal:klima von euch gegründet?

Wir befinden uns in der Klimakrise. Das hat insbesondere die junge Generation erkannt und ist bereit, dagegen vorzugehen. Deshalb demonstrierten am 20. September 2019 allein in Berlin 270.000 Menschen für Klimaschutz. Extinction Rebellion war im Oktober 2019 mit großen Aktionen und vielen Menschen ebenso aktiv, um auf die Dringlichkeit aufmerksam zu machen und die Politik zum Handeln zu bewegen. Kurz darauf sprachen die Vertrauenspersonen der Volksinitiative „Klimanotstand“ vor dem Ausschuss für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz des Abgeordnetenhauses. Sie vertraten ihre Forderungen nach Ausrufung des Klimanotstands für Berlin und weiteren Maßnahmen, die von 36.458 Berliner Bürger:innen anstelle der nur erforderlichen 20.000 unterstützt wurden. Ihnen verdanken wir die Ausrufung der „Klimanotlage“ in Berlin, die ebenfalls darauf aufmerksam macht, wie weit die Klimakrise vorangeschritten ist. 

Die Wissenschaft ist sich einig, dass nur noch radikale Klimaschutzmaßnahmen uns vor den schlimmsten Konsequenzen der Klimakrise schützen können. Die Berliner Regierung als auch die Bundesregierung weigern sich jedoch wissenschaftlich fundierte Klimapolitik zu betreiben und halten lieber am „politisch Machbaren” fest. Es bleibt allerdings keine Zeit mehr, um sich nur mit dem Machbaren zufrieden zu geben, deshalb wurden wir aktiv: Wir wollen als Aktivist:innen alle Parteien im Abgeordnetenhaus jeden Tag vor Ort daran erinnern, dass das Pariser Klimaabkommen und die 1,5-Grad-Grenze nicht verhandelbar sind.

Viele der Gründer:innen der Bewegung sind Fellows des On Purpose Leadership-Programms. Wer ist darüber hinaus noch Teil der Bewegung?

Wir sind ein bunt gemixter Haufen Berliner:innen – von Eltern, Aktivist:innen, Menschen aus den For-Future-Gruppen, Leute aus der nachhaltigen Start-Up-Szene, über Künstler:innen, Angestellte, ehemalige Mitglieder anderer demokratischer Parteien – die die Überzeugung besitzen, dass die Klimakatastrophe vermeidbar ist, jedoch nur durch einen radikalen gesellschaftlichen Wandel in den nächsten 10 Jahren.

Wofür steht in eurem Namen dabei die Umschreibung „radikal“?

Um in 10 Jahren klimapositiv zu werden, müssen wir als Gesellschaft radikalen Wandel durchleben. Die Grundlagen unseres Wirtschaftens und Konsumierens werden sich dabei zum Besseren ändern. Weg von kopflosem Wachstumszwang, hin zum gemeinwohlorientierten Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Das Wort radikal benennt dabei, dass wir die Ursachen der Klimakrise bei der Wurzel anpacken müssen. Da kommt das Wort her, von „radix”, dem lateinischen Wort für Wurzel. Der benötigte Wandel ist so grundlegend, dass nur radikales und mutiges Handeln Aussicht auf Erfolg verspricht.

Was ist dabei eure konkrete Mission?

Nur ein bisschen Klimapolitik reicht uns nicht. Wir wollen, dass Berlin die Anforderungen des Pariser Klimaschutzabkommens erfüllt. Berlin muss als Hauptstadt Deutschlands, als eine europäische Metropole vorangehen und zeigen, dass es möglich ist, den Klimawandel zu stoppen und eine lebenswerte Zukunft zu gestalten. Als Stadt des globalen Nordens mit 3,5 Millionen Einwohner:innen müssen wir uns unserer Verantwortung, für die Folgen unseres Ressourcenverbrauchs, unserer Emissionen nicht nur hier in Berlin und Brandenburg, sondern auch weltweit bewusst sein. 

Deshalb muss Berlin alles daransetzen, seine Emissionen an Treibhausgasen so weit zu reduzieren, dass wir bis 2030 als Stadt klimapositiv sind. Dafür schreiben wir aktuell am Klimaplan, mit dem wir zeigen wollen, dass ein klimapositives Berlin bis 2030 durch eine ökologisch-soziale Transformation möglich ist. Unser Fokus bis zur Wahl im September ist die Klimakrise gemeinsam mit allen anderen Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung als Wahlkampfthema prominent und immer wieder zum Thema zu machen und dabei aufzeigen, dass ein sozialverträglicher ökologischer Umbau der Stadt möglich ist. 

Speaking of „klimapositiv“: Auf eurer Website beschreibt ihr euren Plan für ein klimapositives und sozialgerechtes Berlin. Was beinhaltet dieser Plan? Und was bedeuten „klimapositiv“ und „sozialgerecht“ eigentlich konkret?

Wir orientieren uns am Budgetansatz des IPCC und führenden Klimawissenschaftler:innen. Der IPCC beziffert, welche Maximalmenge an Treibhausgasen die Menschheit noch emittieren darf, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht. Diese Grenze sollten wir nicht überschreiten. Dafür bleiben uns noch ungefähr zehn Jahre Zeit. Bis 2030 müssen wir die Emissionen auf netto Null senken (bei linearer Reduktion), sonst wird unser Planet nicht mehr lebenswert sein. Das noch verbleibende CO2-Budget ist entscheidend, nicht das Enddatum! Und diese CO2-Reduktion soll sozialgerecht gestaltet werden. Dies bedeutet beispielsweise, dass Menschen, die weniger verdienen – und damit in der Regel auch einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck haben – finanziell entlastet werden im Gegensatz zu Großverdienern, die in der Regel einen hohen CO2-Fußabdruck haben.

Auf eurer Website beschreibt ihr außerdem, dass es keine Partei im Parlament gibt, die einen Plan hat, um das Notwendige umzusetzen. Was sind eure Lösungsansätze für dieses Problem?

In unserem Grundsatzprogramm haben wir angefangen, Maßnahmen zusammenzutragen, die notwendig sind, um Berlin bis 2030 klimapositiv zu machen. Dazu gehört, dass der Energiebedarf der Stadt zu 100% durch erneuerbare Energien gedeckt wird, die Erhöhung der Energieeffizienz, die Reduzierung extrem klimaschädlicher fluorierten Treibhausgase (F-Gase) sowie die nachhaltige Mobilitäts- und Stadtplanung und dass endlich Platz für Formen des alternativen Wirtschaftens gemacht wird. Alle Bestandsgebäude in Berlin müssen warmmietenneutral und ohne Verdrängung energetisch saniert werden und Berlin muss zu einer Stadt für Fußgänger:innen und Fahrradfahrer:innen werden. Die Verkehrssicherheit für Fahrradfahrer:innen und Fußgänger:innen muss im Vordergrund stehen und nicht das Prestige für Autobesitzende. Es bedarf eines neuen Mobilitätskonzeptes. 

Wir fordern eine Verschmutzungsmaut, autofreie Wohngebiete und einen dringenden Stopp des Autobahnbaus, müssen eine echte Kreislaufwirtschaft etablieren, die uns weg vom „Herstellen-gebrauchen-wegwerfen“ bringt, Lebensmittelverschwendung stoppen und den Fokus auf saisonale Lebensmittel aus nachhaltiger, regionaler Landwirtschaft setzen. Die Liste der möglichen Maßnahmen kann noch seitenweise weitergeführt werden. Die Lösungen sind da, wir brauchen nur Menschen aus Politik und Wirtschaft, die das mutig und mit Blick auf das Wohl Aller umsetzen.

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radikal:klima | Foto-Credit: Jakob Schäuffelen
Was ist eure realistische Einschätzung bezüglich eines zeitlichen Rahmens, um eure Mission und all diese Ziele verwirklichen zu können?

Um in 10 Jahren klimapositiv zu werden, müssen wir als Gesellschaft radikalen Wandel durchleben, wir müssen die Grundlagen unseres Wirtschaftens und Konsumierens komplett überdenken: Was wir brauchen, ist ein gemeinwohlorientiertes Leben innerhalb der planetaren Grenzen an Stelle eines unkontrollierten Wachstumszwangs. Wir haben durch Corona gelernt, was ein exponentieller Anstieg bedeutet. Ab einem Punkt gerät die Beherrschbarkeit einer Situation außer Kontrolle und überfordert die bestehenden Systeme. Ähnliches trifft auf die Auswirkungen des Klimawandels zu. Überschreiten wir eine Erderhitzung von 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter, werden Kipppunkte im Klimasystem angestoßen, die uns in eine Situation bringen, die wir als Menschheit nicht mehr beherrschen können. Du merkst also: Jedes Zehntel Grad zählt. Deswegen MUSS der zeitliche Rahmen von 10 Jahren eingehalten werden.

Wie kann man eure Bewegung dabei aktiv unterstützen? Und was braucht eure Bewegung noch?

Wir sind immer auf der Suche nach mutigen Menschen, die das Thema mit uns weiter vorantreiben möchten. Ob Expert:in in einem Gebiet oder einfach nur interessiert, wir freuen uns Berlin gemeinsam klimapositiv und sozialgerecht zu gestalten. Besonders im kommenden Wahlkampf benötigen wir jede Unterstützung – von Man*/Women*power über Reichweite hin zu Spenden.

All jene, die Lust haben aktiv zu werden: Schreibt uns an community@radikalklima.de. Um aktiv und erfolgreich zu sein, brauchen wir natürlich auch finanzielle Unterstützung. Spenden helfen uns dabei, endlich echte 1,5-Grad-Politik ins Abgeordnetenhaus zu bringen! Oder werdet aktiv als Multiplikator:innen: Teilt unsere Beiträge, erzählt euren Freund:innen von uns, verknüpft uns mit potentiellen Partnerorganisationen und -initiativen. Gemeinsam können wir viel erreichen!

Um noch einmal einen kleinen Blick in die Vergangenheit zu werfen: Was bedeutet die Zeit als Associate bei On Purpose rückblickend für eure aktuelle Arbeit bei radikal:klima für euch?

Moritz: In meiner Zeit bei On Purpose habe ich die Erkenntnis und Zuversicht gewonnen, dass wir die gesellschaftlichen Probleme lösen können und müssen. Besonders die unternehmerische Herangehensweise versuche ich alltäglich im Kampf gegen das größte gesellschaftliche Problem, die Klimakrise, anzuwenden.

Jeanette: Für mich war der Gemeinschaftsaspekt u.a. sehr essentiell: Dass mensch gemeinsam durch ein so intensives Jahr geht, sich gegenseitig bestärkt, füreinander da ist und noch dazu viele Tools an die Hand bekommt, um sich zusammen weiterzuentwickeln. Genau das setzen wir auch bei radikal:klima um: Uns ist es sehr wichtig eine starke Gemeinschaft aufzubauen, die füreinander einsteht, sich gegenseitig den Rücken stärkt und aufeinander aufpasst. Die Klimakrise kann emotional sehr überfordernd sein, da braucht es meiner Meinung nach ein starkes Auffangnetz, um sich Tag für Tag dieser zu stellen.

Welches konkrete Engagement im Kampf gegen den Klimawandel wünscht ihr euch im Rahmen unseres Commitments zum #ClimateEmergency von On Purpose?

Jeanette: Ich würde mir wünschen, dass ihr eure Ziele und den aktuellen Zustand auf der Webseite prominent darstellt, um diese präsent nach außen zu kommunizieren und ein Vorbild für die Organisationen, mit denen ihr zusammen arbeitet, zu sein. So zeigt ihr, dass der #ClimateEmergency Ausruf nicht nur Lippenbekenntnisse sind, sondern das dem auch Taten folgen. On top wär es toll, wenn ihr eure Erfahrungen beim Erreichen der Ziele teilt, damit andere ihnen nachfolgen können. 

Moritz: Ich würde mir wünschen, dass On Purpose nicht nur mit gutem Beispiel voran geht, sondern progressive Standards als Organisation im Bereich Klimaschutz setzt. Das bedeutet angemessen konsequent auf den Klimanotstand zu reagieren und z.B. auf jegliche Flugreisen innerhalb und zwischen den europäischen Ländern zu verzichten und dafür im Gegensatz Mitarbeiter:innen mehr Urlaubstage für die Reisezeit zur Verfügung zu stellen.


Die Klimakrise, unsere Verantwortung und Konsequenzen für On Purpose International sind von elementarer Bedeutung. Daher sind wir sehr dankbar für jegliche konstruktiven Vorschläge und Impulse von außen und aus unserer Community. Anfang 2020 haben wir uns als Organisation zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 klimaneutral zu sein. Nach ersten kurzfristigen Umstellungen arbeiten wir zurzeit mit einem externen Audit-Partner an einer umfangreichen Datenanalyse, um den C02-Fußabdruck von On Purpose sichtbar zu machen, daraus eine Strategie zu entwickeln und so das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden schon bald ausgewertet und anschließend von uns veröffentlicht. In unserem Blog zum Klimanotstand finden sich dazu regelmäßig entsprechende Informationen von uns und aus unserer Community.


Wenn ihr ein Training bei On Purpose Berlin geben würdet, welchen Titel würde es tragen?

1) System change not climate change ✊✊✊ 

2) Vom Purpose zur Politik: Wie Unternehmen Druck auf Berliner Politik ausüben können

Abschließend würde ich gerne mit euch einen Blick in die Zukunft werfen: Was sind eure Forderungen an die restliche Zivilgesellschaft? Was möchtet ihr der Gesellschaft hier noch mit auf den Weg geben?

In 2021 steht die Klimawahl an. Über 20 Jahre lang hat die Deutsche Bundesregierung den weltweiten Klimaschutz torpediert und blockiert, zu Gunsten der Automobilindustrie und anderen Wirtschaftszweigen. Die kommende Bundestagswahl ist die Schicksalswahl. Wenn wir diese Regierung nicht abwählen, dann ist es für die Einhaltung des Pariser Übereinkommens zu spät und die Klimakatastrophe ist kaum noch aufzuhalten. D.h. steht auf, geht auf die Straße, demonstriert, kettet euch an, werdet politisch aktiv, kämpft für die Zukunft eurer Kinder, kämpft gegen das tägliche Aussterben tausender Spezies. Entweder wir ändern das System oder die Natur wird es tun, dann aber mit brachialer Urgewalt. Und hier in Berlin gilt es die Regierung auf eine Paris-konforme 1,5-Grad-Politik zu bringen, mit einem guten Beispiel voranzugehen. Hier können wir mutig eine klimaprogressive Partei wählen, die der aktuellen Regierung erklären muss, was Klimaschutz wirklich bedeutet.

Vielen Dank für diese spannenden Einblicke in eure Arbeit, Jeanette und Moritz. Eure Ausführungen verdeutlichen wieder einmal die allgegenwärtige Dringlichkeit dieser globalen Krise. Es ist toll, dass ihr als Fellows euer Wissen mit uns teilt und der Community bewusst macht, wie akut nach unserem aktiven Handeln verlangt wird!